Palestine Update Nr. 579 – Mobilisierung und Kampf von unten ist der einzige Weg zur Befreiung – 5. August 22
Mobilisierung und Kampf von unten ist der einzige Weg zur Befreiung
Meinung
Liebe alle LeserInnen von Palestine Updates!
Wir teilen mit Ihnen einen wichtigen Kommentar und die Analyse der Rolle Washingtons im Mittleren Osten. Klar: Die Vereinigten Staaten sind weder willig noch fähig, eine gerechte Lösung herbeizuführen. Indem sie sich selbst als politischer Sklave der Zionisten einstufen, haben es die USA einige Jahrzehnte lang versäumt, als unparteiisch angesehen zu werden. Die Hände zur Versöhnung müssen ihre Hände ausstrecken nach einem möglichen Kollektiv von Nationen, das einer internationalen Konferenz folgt, die die Punkte für einen gerechten Dialog stimuliert, der voraussetzt, dass Frieden kein Starter ist, bevor die Gerechtigkeit in ihrem ganzen Umfang bedient wird. Israel muss sich herablassen zu einer gerechten Wahrnehmung des Palästinensischen Volkes. Wenn es sich verlässt auf die US-Hegemonie in der Fortsetzung der israelischen Unterwerfung des palästinensischen Volkes, verstärkt es den Geist des „Sumud“ der Palästinenser. Es mag so erscheinen, als wären die Palästinenser auf der Verlierer-Seite, aber die politischen Fakten deuten auf das Wachsen der „Standhaftigkeit“ und eines zunehmenden Widerstands. Die IOF (= Israeli Occupation Forces) bleiben verdutzt stehen vor den Verteidigungstaktiken besonders der Jugend. In ihrer Verzweiflung schießen sie und töten in der Hoffnung, dass der Widerstand schwächer wird – oder sogar stirbt. Aber diese Hoffnung ist im Schwinden, und die Palästinenser sind nicht einmal von Weitem bereit, an Übergabe zu denken. Sie haben ihre gerechten Forderungen, nach denen Israel mehr gestohlen hat als das, worauf sie je Anspruch erheben könnten. Ehe Israel zu einer Vereinbarung kommt, die keinem Kompromiss gleicht – wie es in Oslo der Fall war – sind Gesprächsoptionen und politische Arrangements vom Tisch.
Der Autor des Artikels, den wir unten weitergeben, ist Dr. Ramzy Baroud. Er sagt punktgenau: „Es ist Zeit für die Palästinenser aufzuhören, ihr politisches Kapital in die Biden-Administration oder irgendeine andere Administration zu investieren. Was sie brauchen, ist kein neuer ‚mächtiger‘ Sponsor des ‚Friedensprozesses‘, sondern ein Kampf von der Basis her für Freiheit und Befreiung, der von Zuhause aus beginnt, einer, der die Energien des palästin-ensischen Volkes selbst stimuliert. Alas – dieses neue Paradigma kann nicht erreicht werden, wenn die Prioritäten der palästinensischen Führerschaft fixiert bleiben auf die Anweisungen und die politische Bewertung von Washington und ihren westlichen Alliierten“.
Baroud ist Journalist und der Herausgeber von ‚The Palestine Chronicle‘. Er ist der Autor von sechs Büchern. Sein jüngstes Buch, herausgebracht gemeinsam mit Ilan Pappé, hat den Titel:
„Our Vision of Liberation: Engaged Palestinian Leaders and Intellectuals Speak out” (= Unsere Vision von Befreiung: Betroffene palästinensische Führer und Intellektuelle kommen kommen zu Wort). Baroud ist ein nicht örtlich gebundener Senior-Forschungsmitarbeiter des ‚Center for Islam and Global Affairs‘ (CIGA: =Zentrum für muslimische und globale Angelegenheiten)
Dieses ist ein kräftiger Impuls zum Nachdenken. Bitte lesen und breit streuen!
In Solidarität, Ranjan Solomon
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Washington ist das Problem – nicht die Lösung: Warum Mahmoud Abbas neue „mächtige“ Sponsoren sucht
Von Dr. Ramzy Baroud
(Bild: ¾-seitiges Photo von Ramzy Baroud
US-Präsident Joe Bidens jüngster Besuch in Israel und Palästina in Sachen Aktivierung des schlafenden ‚Friedensprozesses‘ ist einfach eine falsche Bezeichnung. Damit diese Stellung-nahme genau sein sollte, müsste Washington mindestens den nominellen Wunsch geäußert haben, Verhandlungen zwischen der israelischen Regierung und der palästinensischen Führerschaft zu fordern.
Abgesehen von politischen und diplomatischen Platitüden hat die derzeitige amerikanische Administration genau das Gegenteil von dem getan, was die Worte und Aktionen Bidens angedeutet haben. Beruhigend, dass die Zusage der USA zu einer Zweistaatenlösung „sich nicht verändert hat“, ging Biden vom Interesse seiner Administration aus, zu versuchen, ein solches Ziel zu erreichen und erklärte, dass „der Grund für Verhandlungen noch nicht reif sei.
In Anbetracht dessen, dass die Palästinensische Autorität wiederholt ihre Bereitschaft erklärt hat, zu den Verhandlungen zurückzukehren, kann man nur annehmen, dass der Prozess durch Israels Unversöhnlichkeit eingestellt wurde. In der Tat befördern Israels oberste Führer
oder wichtigen Parteien die Verhandlungen – oder den sogenannten „Friedensprozess“ – als eine strategische Richtung.
Jedoch: Israel ist nicht die einzige zu tadelnde Partei. Die Amerikaner haben auch klar gemacht, dass sie sich von dieser politischen Täuschung total wegbewegten, einer, die sie jahrzehntelang eingeführt und unterstützt haben. De facto wurde der Schlussnagel am Sarg der ‚Lösung durch Verhandlungen‘ von der Donald Trump Administration eingeschlagen, die ganz einfach jeden israelischen Wunsch unterstützt und so alle rechtmäßigen palästinensi-schen Forderungen abgelehnt hat.
Die Biden-Administration wurde wie üblich von den Palästinensern, den Araber und den fortschrittlichen Stimmen innerhalb der Demokratischen Partei beschuldigt, Trumps vorein-genommene Bewegungen zu Gunsten von Israel umzukehren, verfehlt zu haben: zum Beispiel durch die Umsiedlung der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem, Schließen des US-Konsulats in Ostjerusalem, Annahme der unbegründeten israelischen Forderungen in Bezug auf die Rechtsprechung über illegal gebaute jüdische Siedlungen auf besetztem palästinensischem Land, und so weiter.
Selbst wenn man meint, die Biden Administration sei fähig, einige oder alle ungesetzlichen Aktionen von Trump rückgängig zu machen, was Gutes würde es sein im größeren Zusammenhang der Dinge? Washington war und ist Israels größter Wohltäter, der die militärische Besetzung von Palästina mit einem jährlichen Geschenk von 4 Billionen Dollars unterstützt zusätzlich zu vielen anderen Projekten, einschließlich des wachsenden Budgets, das nur für Israels ‚Iron Dome‘ bestimmt ist.
Wie erschreckend die Jahre von Trump waren in Bezug auf die Unterminierung einer gerechten Lösung für die israelische Besetzung von Palästina, waren Politikwege Bidens doch nur eine Weiterführung des existierenden amerikanischen Legats pro-Israel, das dasjenige von Trump um Jahrzehnte übersteigt.
Was Israel betrifft, so hat der ‚Friedensprozess‘ seinen Zweck erreicht, was die unrühmliche Erklärung des CEO (= chief executive officer … Geschäftsführer) des jüdischen Siedlungsrates in der besetzten Westbank, bekannt als Yesha, 2018 bestätigt: „Ich will nicht prahlen, dass wir gewonnen haben … Andere würden sagen, es scheint, dass wir gewinnen“.
Israels angenommener „Sieg“ nach drei Jahrzenten eines betrügerischen ‚Friedensprozesses‘ kann jedoch nicht Trump allein zugeschrieben werden. Biden und andere US-Spitzenbeamte waren auch ganz nützlich. Während es z.B. weitgehend verstanden wird, dass US-Politiker aus purem Interesse Israel unterstützen, stammt die Notwendigkeit, die einflussreiche pro-Israel Lobby in Washington D.C., Bidens Unterstützung für Israel zu befriedigen, von einer ideologischen Begründung. Der US-Präsident war kaum schüchtern, als er bei seiner Ankunft am 13. Juli auf Israels Ben Gurion Flughafen seinen berühmten Ausspruch tat: „Man braucht kein Jude zu sein, um Zionist zu sein“.
Infolgedessen mag es verwirrend erscheinen, wenn palästinensische Beamte die USA anrufen – und speziell Biden – um Tel Aviv unter Druck zu setzen, die Okkupation von Ostjerusalem
die Westbank und Gaza zu beenden.
Mohannad al-Aklouk, der palästinensische Vertreter in der Arabischen Liga beispielsweise
wiederholte die gleichen Klischees und die unrealistische Sprache der Erwartung an die USA,
„praktischen Druck auf Israel zu setzen“, „die Bühne zu bilden für einen fairen politischen Prozess, der sich auf das Völkerrecht gründet“ und „seine Rolle als fairer Sponsor für den Friedensprozess wahrzunehmen“. Mr. Al-Aklouk glaubt wirklich, dass Washington mit seinem trostlosen Streckenrekord an pro-israelischer Neigung der mögliche Retter der Palästinenser sein kann.
Ein anderer palästinensischer Beamter erzählte ‚The New Arab‘, dass der PA-Präsident Abbas „enttäuscht war von den Ergebnissen des Besuches von Βιden“, weil der palästinensische Führer offenbar „erwartete, dass der Präsident der USA Fortschritte machen würde beim Friedensprozess“. Die gleiche Quelle fuhr fort zu sagen, dass die Behörde von Abbas Treffen abhält mit Vertretern von „mächtigen Ländern“, um die USA als Sponsoren der einmal US-gesponserten Verhandlungen zu ersetzen.
Abbas‘ politischer Stand ist verwirrend. Der „Friedensprozess“ ist schließlich eine amerikanische Erfindung. Es war ein einmaliger Selbstbedienungs-Stil der Diplomatie, der formuliert wurde, um sicher zu stellen, dass Israels Prioritäten im Zentrum der US-Außen-politik im Mittleren Osten blieben. Im Falle von Palästina diente der „Friedensprozess“ nur dazu, die israelische Kolonisierung von Palästina einzuwurzeln und gleichzeitig die legitimen palästinensischen Forderungen zu verringern oder ganz auf die Seite zu stellen. Dieser „Prozess“ war also mit dem Ziel konstruiert worden, das Völkerrecht zu marginalisieren zum politischen und gesetzlichen Bezugsrahmen für die israelische Okkupation von Palästina.
Anstatt den ganzen „Friedensprozess“-Apparat zu hinterfragen und sich zu entschuldigen für die strategische Plünderung in der Aufnahme amerikanischer Bilder zu Lasten von palästinen-sischen Rechten hängt die Palestinian Authority (PA) verzweifelnd an der gleichen alten Phantasie, sogar wenn die USA zusammen mit Israel ihre eigene politische Farce abgelegt hat.
Selbst wenn – angenommen – China, Russland oder Indien zustimmen würden, die neuen Sponsoren des „Friedensprozesses“ zu werden, gibt es keinen Grund für Tel Aviv, sich für zukünftige Verhandlungen zu engagieren, wenn es in der Lage ist, seine kolonialen Ziele mit voller amerikanischer Unterstützung zu erreichen. Darüber hinaus hat keines dieser Länder zurzeit viel Hebelkraft über Israel und sie sind daher unfähig, irgendeine Art von sinnvollem Druck auf Tel Aviv auszuüben, das Völkerrecht zu respektieren.
Aber die PA bleibt dabei, einfach, weil der „Friedensprozess“ sich als sehr nützlich in Bezug auf Gelder, Macht und Prestige erwiesen hat für eine kleine, jedoch mächtige Klasse von Palästinensern, die im Wesentlichen nach den Osloer Abkommen von 1993 formuliert worden waren.
Es ist Zeit für die Palästinenser aufzuhören, ihr politisches Kapital in die Biden-Administration oder eine andere Administration zu investieren. Was sie brauchen, ist nicht ein neuer „mächtiger“ Sponsor für den Friedensprozess, sondern ein Kampf für Freiheit und Be-freiung, der ganz unten von zuhause aus beginnt, einer, der die Energien des Palästinensischen Volkes selbst stimuliert. Alas! Dieses neue Paradigma kann nicht erreicht werden, wenn die Prioritäten der palästinensischen Führerschaft fixiert bleiben auf die Anweisungen und politischen Bewertungen von Washington und seinen westlichen Alliierten.
(Quelle)
(Übersetzung: Gerhilde Merz)